SÜSSWASSER. MIT DEN AUGEN EINES BILDERFISCHERS

Fotografien von Michel Roggo, Text von Pierre-Pascal Rossi
(Übersetzung der französischen Originalausgabe Eau douce
)

Wasser. Süsswasser. Süss, doch heftig. Ergiebig, doch wertvoll. So wertvoll, dass es eines Tages einen Weltkrieg auslösen könnte, da es selten geworden ist. Obwohl es eigentlich da ist, um Leben zu spenden… Dieses Leben fotografiert Michel Roggo wie kein anderer. Geheimes und stilles Leben in einer Unterwasserwelt, in der die Fische nur die augenfälligsten Bewohner bilden, die aber Milliarden anderer Lebewesen zählt, von der zarten Puppe bis zum grossen Lachs. Und es gibt die Landschaften… Fantastisch, in Bewegung und bewegend, zwischen Licht und Dunkelheit, von Schatten oder Lichtmetamorphosen belebt: Nichts ist endgültig, alles regt sich unaufhörlich und ist in ständiger Verwandlung. Leben, das wie alles Leben friedlich und stürmisch ist, Quelle des Lichts und Ursprung von Geheimnissen.

Paulus Verlag, Freiburg, Schweiz, 2008
Gestaltung durch Nicolas Crispini
30 x 24 cm, gebunden, 160 Seiten, 168 Fotografie, CHF 69.- / EUR 45.-

ISBN 978-3-7228-0752-2

Zu den Bildern (Auszug aus dem Buch)

Für einen Fotografen ist es nicht leicht, sich zu Bildern zu äussern. Die Bilder sollten ja sprechen, und wenn sie das nicht tun, nützen alle Worte nichts. Doch ist es verständlich, wenn man wissen möchte, wie es denn zu einem Bild gekommen ist. Gerade wenn es sich um Bilder aus einer unbekannten Welt handelt, welche die wenigsten von uns je in Natura sehen können. Denn wir kennen zwar die Welt der Korallenriffe, vom Fernsehen, aber nicht die der Gewässer, denen entlang wir an einem Sonntag Nachmittag spazieren.
Auch für mich waren diese Wasserwelten lange Zeit nicht zugänglich. Um so mehr, als ich erst sehr spät zu fotografieren begann, mit dreissig Jahren. Dank eines Lehrerkollegen, der mir ein riesiges Teleobjektiv regelrecht aufgedrängte: Ich solle das doch mal probieren. Da er nicht locker liess und ich ein auf Anstand bedachter Mensch bin, nahm ich das unhandliche Zeug nach Hause. Widerwillig.
Am gleichen Abend noch lag ich im feuchten Gras am Waldrand, schlich ein Reh an und machte meine erstes Bild: ein winziger Punkt im hohen Gras, der auch ein streunender Pudel hätte sein können. Ich war begeistert! Sofort kaufte ich mir auch so ein Riesentele. Dann überlegte ich, was ich mit so einem Ding machen könnte: Löwen fotografieren fiel mir als erstes ein. Also flog ich nach Kenia zu den Löwen. Schon in der ersten Nacht im kenianischen Busch blieb ich mit meinem völlig ungeeigneten Datsun Cherry in einer Schlammpiste stecken. Nach einer eher ungemütlichen Nacht kletterte ich aus dem von Hyänen arg ramponierten Datsun und ging zu Fuss fünfzehn Kilometer zur nächsten Rangerstation - zwischen Löwen und Kaffernbüffeln hindurch. Die Tatsache, dass ich nicht gefressen wurde, gab mir ein gesundes Selbstvertrauen für einen weiteren Umgang mit Tieren der wilderen Sorte.
Zwei Monate später war ich in Alaska, sah erstmals Bären, Wölfe - und vor Lachse. Das war das Schlüsselerlebnis. Diese roten Lachse über cyangrünen Algen im kristallklaren Wasser, das war so schön, das wollte ich unbedingt fotografieren. Und zwar unter Wasser. Im nächsten Sommer also sass ich am Ufer desselben Baches, hielt von Hand eine Nikonos ins eiskalte Wasser und versuchte, die Lachse zu fotografieren. Die fotografische Ausbeute war unwahrscheinlich schlecht. Monate später war ich deshalb wieder in Alaska, versenkte eine mit einem Kabelauslöser versehene Kamera in den Fluss, schaute vom Ufer aus, ob ein Fisch vorbei schwamm und löste von Zeit zu Zeit aus. Die Bilder waren nicht berauschend - meist abgeschnittene Bäuche, Köpfe, Schwänze von Lachsen. Aber ein, zwei Bilder waren ganz ordentlich. Wieder ein Jahr später, wieder in Alaska: Nun war im Unterwassergehäuse neben dem Fotoapparat eine Videokamera. Jetzt sah ich, was vor meiner Kamera im Fluss passierte, und die Bilder wurden besser. Wurde auch Zeit.
Die nächsten Jahre arbeitete ich viel in Alaska und Kanada, dann auch wieder in Afrika und vor allem immer wieder im Amazonas. Doch da ich mir eine gehörige Portion Unbekümmertheit - um nicht zu sagen Naivität - ins Erwachsenenalter hinüber gerettet hatte, waren meine Ideen gelegentlich nicht sehr durchdacht. So wollte ich etwa in Alaska Bären fotografieren und im Okavango Krokodile - unter Wasser natürlich. Das endete beides eher ungut. Aber immerhin, ich hatte ein Bild von einem Krokodilmaul, kurz bevor es zuschnappt - von innen, unter Wasser (das letzte Bild der Serie notabene). Und von einer Bärenschnauze und einer Bärentatze auf dem Frontglas, unter Wasser (ja, auch das letzte Bild). Das war ein Leben!
Nach einigen Dutzend Expeditionen an Gewässer rund um die Welt fiel mir endlich ein, dass ich auch in meiner engeren Heimat arbeiten könnte. Denn zuvor testete ich lediglich meine umgebauten Gehäuse in der Saane. Da schwammen jeden Frühling abertausende von Nasen den Fluss hoch, um zu laichen. Ich machte jeweilen ein paar Bilder und dachte, ich könnte das später einmal richtig fotografieren. Doch rasend schnell verschwanden die Nasen und die Aeschen und die Bachneunaugen und die Barben. Nun begann ich ganz bewusst und intensiv zwischen Jura, Alpen, Balkan und Skandinavien diese verborgenen Wasserwelten zu suchen, wo die Flüsse viel und reines Wasser führen und wo Wasserpflanzen gedeihen und Insekten und Fische. Dies waren Reisen in der Zeit, die es mir erlauben sollten, Gewässer im Zustand der Unschuld zu finden.
Ich suchte den aquatischen Garten Eden.
Zusehends verschob sich zudem meine Ansatz. Suchte ich zu Beginn eher ikonografisch ein Bild sagen wir eines Lachses, interessierten mich später die Lebensräume. Zuletzt eigentlich nur noch die überraschenden, Sekundenbruchteile dauernden Kompositionen von ständig ändernden Lichtern, Farben, Formen aus einer verwirrenden und dynamischen Welt.
Doch wieso erwähne ich nicht die Technik, die diese Bilder ermöglicht? Im Laufe zweier Jahrzehnte habe ich ein ganzes Arsenal abenteuerlicher Konstrukte für meine Arbeit unter Wasser eingesetzt, oft selbst gebastelt und x-fach umgebaut. Denn ich bin etwas wasserscheu, was das Ganze kompliziert. Ich arbeite lieber vom Ufer oder Boot aus, aus unaufdringlicher Distanz, mit Fernbedienung. Doch eigentlich ist diese handwerkliche Seite unwesentlich. Wirklich wichtig scheint mir - ich kann das nicht genug betonen - dass ich als Fotograf meine Sensibilität für das Schöne an sich pflege. So besuche ich bewusst und gerne Ausstellungen, und natürlich nicht nur von Fotografie. Oder höre viel und bewusst Musik, leiste mir auch mal ein gutes Konzert. Ich möchte es so sagen: Vor einem Gemälde von William Turner zu stehen oder im Konzert eine Stradivari zu hören, bringt mich als Fotograf letztlich weiter als in technischen Berichten zu lesen, wie es um die chromatische Aberration eines Objektivs steht.
Denn die Bilder, die sind alle schon da, tief in uns. Diese dort aus der Überfülle von Unwichtigem und Überflüssigem heraus zu holen, das ist die Herausforderung. Alles andere ist Handwerk.

 
Bericht von Hans-Martin Bürki-Spycher zum Erscheinen des Buches in der Schweizer Familie 46/2008:
Garten Eden unter Wasser (PDF, 2.0 MB)