Zu
den Bildern (Auszug aus dem Buch) Für einen Fotografen
ist es nicht leicht, sich zu Bildern zu äussern. Die Bilder sollten
ja sprechen, und wenn sie das nicht tun, nützen alle Worte nichts.
Doch ist es verständlich, wenn man wissen möchte, wie es denn
zu einem Bild gekommen ist. Gerade wenn es sich um Bilder aus einer
unbekannten Welt handelt, welche die wenigsten von uns je in Natura
sehen können. Denn wir kennen zwar die Welt der Korallenriffe,
vom Fernsehen, aber nicht die der Gewässer, denen entlang wir an
einem Sonntag Nachmittag spazieren.
Auch für mich waren diese Wasserwelten lange Zeit nicht zugänglich.
Um so mehr, als ich erst sehr spät zu fotografieren begann, mit
dreissig Jahren. Dank eines Lehrerkollegen, der mir ein riesiges Teleobjektiv
regelrecht aufgedrängte: Ich solle das doch mal probieren. Da er
nicht locker liess und ich ein auf Anstand bedachter Mensch bin, nahm
ich das unhandliche Zeug nach Hause. Widerwillig.
Am gleichen Abend noch lag ich im feuchten Gras am Waldrand, schlich
ein Reh an und machte meine erstes Bild: ein winziger Punkt im hohen
Gras, der auch ein streunender Pudel hätte sein können. Ich
war begeistert! Sofort kaufte ich mir auch so ein Riesentele. Dann überlegte
ich, was ich mit so einem Ding machen könnte: Löwen fotografieren
fiel mir als erstes ein. Also flog ich nach Kenia zu den Löwen.
Schon in der ersten Nacht im kenianischen Busch blieb ich mit meinem
völlig ungeeigneten Datsun Cherry in einer Schlammpiste stecken.
Nach einer eher ungemütlichen Nacht kletterte ich aus dem von Hyänen
arg ramponierten Datsun und ging zu Fuss fünfzehn Kilometer zur
nächsten Rangerstation - zwischen Löwen und Kaffernbüffeln
hindurch. Die Tatsache, dass ich nicht gefressen wurde, gab mir ein
gesundes Selbstvertrauen für einen weiteren Umgang mit Tieren der
wilderen Sorte.
Zwei Monate später war ich in Alaska, sah erstmals Bären,
Wölfe - und vor Lachse. Das war das Schlüsselerlebnis. Diese
roten Lachse über cyangrünen Algen im kristallklaren Wasser,
das war so schön, das wollte ich unbedingt fotografieren. Und zwar
unter Wasser. Im nächsten Sommer also sass ich am Ufer desselben
Baches, hielt von Hand eine Nikonos ins eiskalte Wasser und versuchte,
die Lachse zu fotografieren. Die fotografische Ausbeute war unwahrscheinlich
schlecht. Monate später war ich deshalb wieder in Alaska, versenkte
eine mit einem Kabelauslöser versehene Kamera in den Fluss, schaute
vom Ufer aus, ob ein Fisch vorbei schwamm und löste von Zeit zu
Zeit aus. Die Bilder waren nicht berauschend - meist abgeschnittene
Bäuche, Köpfe, Schwänze von Lachsen. Aber ein, zwei Bilder
waren ganz ordentlich. Wieder ein Jahr später, wieder in Alaska:
Nun war im Unterwassergehäuse neben dem Fotoapparat eine Videokamera.
Jetzt sah ich, was vor meiner Kamera im Fluss passierte, und die Bilder
wurden besser. Wurde auch Zeit.
Die nächsten Jahre arbeitete ich viel in Alaska und Kanada, dann
auch wieder in Afrika und vor allem immer wieder im Amazonas. Doch da
ich mir eine gehörige Portion Unbekümmertheit - um nicht zu
sagen Naivität - ins Erwachsenenalter hinüber gerettet hatte,
waren meine Ideen gelegentlich nicht sehr durchdacht. So wollte ich
etwa in Alaska Bären fotografieren und im Okavango Krokodile -
unter Wasser natürlich. Das endete beides eher ungut. Aber immerhin,
ich hatte ein Bild von einem Krokodilmaul, kurz bevor es zuschnappt
- von innen, unter Wasser (das letzte Bild der Serie notabene). Und
von einer Bärenschnauze und einer Bärentatze auf dem Frontglas,
unter Wasser (ja, auch das letzte Bild). Das war ein Leben!
Nach einigen Dutzend Expeditionen an Gewässer rund um die Welt
fiel mir endlich ein, dass ich auch in meiner engeren Heimat arbeiten
könnte. Denn zuvor testete ich lediglich meine umgebauten Gehäuse
in der Saane. Da schwammen jeden Frühling abertausende von Nasen
den Fluss hoch, um zu laichen. Ich machte jeweilen ein paar Bilder und
dachte, ich könnte das später einmal richtig fotografieren.
Doch rasend schnell verschwanden die Nasen und die Aeschen und die Bachneunaugen
und die Barben. Nun begann ich ganz bewusst und intensiv zwischen Jura,
Alpen, Balkan und Skandinavien diese verborgenen Wasserwelten zu suchen,
wo die Flüsse viel und reines Wasser führen und wo Wasserpflanzen
gedeihen und Insekten und Fische. Dies waren Reisen in der Zeit, die
es mir erlauben sollten, Gewässer im Zustand der Unschuld zu finden.
Ich suchte den aquatischen Garten Eden.
Zusehends verschob sich zudem meine Ansatz. Suchte ich zu Beginn eher
ikonografisch ein Bild sagen wir eines Lachses, interessierten mich
später die Lebensräume. Zuletzt eigentlich nur noch die überraschenden,
Sekundenbruchteile dauernden Kompositionen von ständig ändernden
Lichtern, Farben, Formen aus einer verwirrenden und dynamischen Welt.
Doch wieso erwähne ich nicht die Technik, die diese Bilder ermöglicht?
Im Laufe zweier Jahrzehnte habe ich ein ganzes Arsenal abenteuerlicher
Konstrukte für meine Arbeit unter Wasser eingesetzt, oft selbst
gebastelt und x-fach umgebaut. Denn ich bin etwas wasserscheu, was das
Ganze kompliziert. Ich arbeite lieber vom Ufer oder Boot aus, aus unaufdringlicher
Distanz, mit Fernbedienung. Doch eigentlich ist diese handwerkliche
Seite unwesentlich. Wirklich wichtig scheint mir - ich kann das nicht
genug betonen - dass ich als Fotograf meine Sensibilität für
das Schöne an sich pflege. So besuche ich bewusst und gerne Ausstellungen,
und natürlich nicht nur von Fotografie. Oder höre viel und
bewusst Musik, leiste mir auch mal ein gutes Konzert. Ich möchte
es so sagen: Vor einem Gemälde von William Turner zu stehen oder
im Konzert eine Stradivari zu hören, bringt mich als Fotograf letztlich
weiter als in technischen Berichten zu lesen, wie es um die chromatische
Aberration eines Objektivs steht.
Denn die Bilder, die sind alle schon da, tief in uns. Diese dort aus
der Überfülle von Unwichtigem und Überflüssigem
heraus zu holen, das ist die Herausforderung. Alles andere ist Handwerk. |